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„San Sebastián löst die Griechenland-Krise"

„San Sebastián löst die Griechenland-Krise"

Bericht über das 59. Filmfestival von San Sebastián. Von Geri Krebs

Am Samstag ging in San Sebastián das Filmfestival zu Ende. Diese 59. Ausgabe war die erste unter der Leitung des neuen Direktors José Luis Rebordinos. Geboten wurde ein erweitertes Programm, ein gewohnt grosses Staraufgebot und im Hauptwettbewerb einige diskutable Juryentscheide.

Terence Davies ging leer aus, nicht besser erging es Arturo Ripstein und Kim Ki-duk. Es fehlte in diesem Jahr nicht an bekannten Namen im 16 Filme umfassenden Hauptwettbewerb von San Sebastián, und auch die internationale Jury war unter anderem mit der amerikanischen Schauspielerin Frances McDormand, der französischen Kamerafrau Sophie Maintigneux, dem mexikanischen Drehbuchautor Guillermo Arriaga und dem spanischen Regisseur Álex de la Iglesia prominent besetzt.

Meisterhafte Literaturverfilmungen
Doch die Werke der (Alt-)Meister aus England, Mexiko und Südkorea fanden trotz ihrer formalen Geschlossenheit, ihrer inhaltlichen Raffinesse und ihrer emotionalen Wucht keine Beachtung bei den Entscheiden der Jury. Zwar sind „The Deep Blue Sea“ von Terence Davies und „Las razones del corazón“ von Arturo Ripstein – ein klassisches Melodrama um eine junge Richtersgattin (Rachel Weisz) im England der frühen 1950er das eine, die ins Mexiko der Gegenwart verlegte Adaptation von Gustave Flauberts Liebesdrama „Madame Bovary“ das andere – Literaturverfilmungen von Klassikern, doch beide glänzen mit einer modernen, bis aufs äusserste verfeinerten filmischen Sprache, heben in der Darstellung des Schmerzes ihrer Protagonistinnen in Sphären ab, die Lichtjahre entfernt sind von der Verstaubtheit, an der so viele Literaturverfilmungen kranken. Und der koreanische Vielfilmer Kim Ki-duk, von dem man ja gewohnt ist, absurdeste Geschichten um Liebesleid und Geschlechterkampf plausibel und in Bildern von makelloser Schönheit präsentiert zu bekommen, glänzte dieses Mal in „Amen“ mit einem sich der christlichen Ikonografie bedienenden, symbolschwangeren Minimalismus, der es in sich hat. In dem fast dialoglosen Film sucht eine junge Frau zwischen Paris, Venedig und Avignon nach ihrem verschwundenen Liebhaber, von dem sie offenbar schwanger ist. Dabei wird sie so weit auf sich selber zurückgeworfen, dass am Ende völlig unklar ist, ob es je einen Liebhaber und eine Schwangerschaft gegeben hat.

„Los pasos dobles“ – Ein umstrittener Siegerfilm
Angesicht der Konkurrenz von Filmen aus dieser künstlerischen Liga im Hauptwettbewerb war es nicht weiter verwunderlich, dass es am vergangenen Samstagabend in San Sebastiáns Kursaal Buh-Rufe gab, als Jurypräsidentin Frances McDormand am Ende der Preisverleihungszeremonie den Gewinner der „Goldenen Muschel“ bekannt gab: „Los pasos dobles“. Die spanisch-schweizerische Koproduktion des 1975 in Gerona geborenen Isaki Lacuesta erzählt in drei Handlungssträngen das Leben des französischen Malers, Schriftstellers und Abenteurers François Augiéras, der 1971 in Mali verstarb. Der mit Laiendarstellern in der Umgebung von Timbuktu mit geringen finanziellen Mitteln realisierte Film bietet als eine seiner Attraktionen die Präsenz von Miquel Barceló, einen der renommiertesten Künstler und Maler Spaniens, der seit langem mehrheitlich in Mali lebt und den Isaki Lacuesta parallel zu „Los pasos dobles“ auch noch in dem – in einer Nebensektion gezeigten – Dokumentarfilm „El cuaderno de barro“ verewigte. Es gab Kritiker, die „Los pasos dobles“ als „genial“ und „radikal“ feierten, doch andere, wie etwa jener von „El País“, scheuten sich nicht, ihn als „so absurden wie idiotischen Film“ zu beschimpfen.

Applaus für die Schauspielerpreise
Grossen Applaus an der Schlusszeremonie gab es hingegen für die junge María León, eine der beiden Hauptdarstellerinnen in Benito Zambranos Bürgerkriegsdrama „La voz dormida“, einem zwar konventionellen, aber emotional bewegenden Film. Sie wurde als beste Schauspielerin mit einer Silbernen Muschel ausgezeichnet. Den Preis als bester Hauptdarsteller erhielt schliesslich der Grieche Antonis Kafetzopoulos für seine Rolle als desillusionierter Ex-Polizist in der etwas an Aki Kaurismäki erinnernden Tragikomödie „Adikos kosmos“ („Unfair World“) des Regisseurs Filippos Tsitos, der seinerseits den Preis als bester Regisseur erhielt. Auf Facebook, das dieses Jahr erstmals zusammen mit anderen „social medias“ voll ins Festivalprogramm integriert war, konnte man als allerersten Eintrag nach Bekanntgabe der beiden Preise für „Adikos kosmos“ lesen: „San Sebastián löst die Griechenland-Krise“.