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Ein glitzerndes Adieu: Abschlussbericht und Preise des 15. Zurich Film Festival. Von Irene Genhart

Ein glitzerndes Adieu: Abschlussbericht und Preise des 15. Zurich Film Festival. Von Irene Genhart

Am 6.10.19 ging das 15. Zurich Film Festival als letztes und mit über 117‘000 Eintritten erfolgreichstes unter der Leitung der Gründer Nadja Schildknecht und Karl Spörri zu Ende.

Und dann stand am 5.10.2019 Nadja Schildknecht eine Stunde vor Mitternacht in Zürichs Opernhaus auf der Bühne und hatte die Rede, die sie nun halten sollte, ganz einfach nicht vorbereitet. Sie habe seit Wochen daran gedacht, sagte sie. Doch dann sei das Festival näher gekommen und in den letzten zehn Tagen hätten Karl Spörri und sie einfach noch einmal ihr Bestes geben. Sie sprach dann frei weiter und bewies einmal mehr, wieso sie und Spörri als „Partner in Crime“ die Richtigen waren, um Zürich dieses Festival abzutrotzen und wie es ihnen innerhalb von 15 Jahren gelang, dieses zu einem Top Event mit internationaler Ausstrahlung heranwachsen zu lassen.

Dabei tat sie de facto nichts anderes, als charmant Anekdotisches zu erzählen. Wie sie und Spörri in den ersten Jahren zahllose Einladungen verschickten, die niemand annahm, weil sie beide in der internationalen Festivallandschaft Nobodys waren. Wie 2007 dann aber ein gewisser Oliver Stone diese Einladung annahm, worauf Schildknecht, um die die Gefahr einer nachträglichen Absage zu vermindern, flugs in die USA flog. Wie sie Stone später dann persönlich am Flughafen abholte, er ziemlich schlecht gelaunt war, bei der Abreise dann aber lächelte. Dieses Lächeln, sagte Schildknecht, sei für sie enorm wichtig gewesen. Weil es bestätigte, dass sie irgendetwas richtig machten. Spörris Rede dann war prosaischer und danach folgten Dank, Blumen, Glitzerregen und Standing Ovation.

Das Unterhaltsamste der Award Night war ein rassiger Rückblick auf 15 Jahre ZFF. Erwähnter Tiefpunkt: die Polanski-Affäre. Höhepunkt: alles andere. Witzig: Ausschnitte aus frühen Interviews mit Schildknecht und Spörri. Dazwischen immer wieder Schildknechts strahlendes Lachen; noch kann man sich das Zurich Film Festival ohne die beiden nicht vorstellen. Das hängt unter anderem damit zusammen, was das ZFF ist, bzw. was es nicht ist. Denn wenn es grundsätzlich zwei Arten von Filmfestivals gibt – Themen-bzw. Genre-Festivals und Premierenfestivals – ist das Zurich Film Festival etwas Drittes. Eine Best-Of-Auslese jüngerer Festivalrenner kombiniert mit einer Vorschau aufs Schweizer Kinoprogramm der nächsten Monate.

Das ist publikumstechnisch nicht ungeschickt; tatsächlich kann man sich am ZFF in eine beliebige Vorstellung setzen und wird faktisch nie enttäuscht. Dass man den einen oder anderen Film – etwa Julien Elies „Dark Suns“ um die in Mexiko seit den 1990ern alarmierend steigende Zahl von Verschleppungen und Morden – schwer erträglich erscheinen, liegt an anderem. Einer Festivalmüdigkeit, die sich begründet in der Anzahl der Filme (171, davon 38 in den Wettbewerben). Oder aber durch die Gestaltung eines Films, die wie in eben erwähntem Beispiel einem bedrückenden Thema eine erschlagende Wirkung verpasst.

Die gleichmässige Qualität stellt die ZFF-Jurys, die pro Wettbewerb nur je ein Goldenes Auge verleihen dürfen, nicht selten vor ein Dilemma. Die Jury des Dokumentar- und Fokus-Wettbewerbs retteten sich daraus mit besonderen Erwähnungen an „Midnight Family“ (L. Lorentzen), „17 Blocks“ (D. Rothbart), bzw. „Lillian (A. Hovarth). Als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde schliesslich Alexander Nanaus „Colectiv“, welcher mit detektivischem Eifer untersucht, wieso 27 Personen, die 2015 den Brand in einem Bukarester Nachtclub überlebten, in Spitalpflege starben. Den Preis des Fokus-Wettbewerbs holte Nora Fingscheidt mit „Systemsprenger“; einem wuchtigen Drama um eine Neunjährige, die emotional labil immer wieder derart heftig ausflippt, dass sie sich und andere gefährdet; weswegen durch alle Netze der Fürsorge rasselt.

Das Jury-Dilemma pointiert in Worte fasste Oliver Stone, der bei der Preisverleihung sagte, es hätten alle Filme des Spielfilmwettbewerbs eine Erwähnung verdient. Insbesondere „Babyteeth“, „Just 6.5“ und „A White, White Day“; Tryne Dyrholm für ihre schauspielerische Leistung in „Queen of Hearts“ und David Zonana für die Regie von „Mano de obra“. Unter spezieller Erwähnung von Regie, Hauptdarsteller und Soundtrack zum Sieger erklärt wurde „Sound of Metal“ von Darius Marder, ein beeindruckendes Drama um einen Heavy Metal-Schlagzeuger, der einen Hörsturz erleidet.

Damit war es mit Preisen an der Award Night noch nicht vorbei. Eine Dreier-Gesandtschaft der 30-köpfigen Kinderjury verkündete Sarah Winkenstettes „Zu weit weg“ als Sieger der Sektion „ZFF for Kids“. Niklaus Hilber erhielt für „Bruno Manser – Die Stimme des Regenwaldes“ den erstmals verliehenen „Science Film Award“ für einen Film, der „ein wissenschaftlich relevantes Thema einer breiten Gesellschaftsschicht auf attraktive und unterhaltsame Weise näherbringt“. Nicht minder verdient hätten diesen Preis Julie Delpy, die in „My Zoe“ von einer Genforscherin erzählt, die nach dem Tod ihrer Tochter versucht, diese mittels Reproduktionsmedizin auferstehen zu lassen. Ebenfalls zum ersten Mal gab es am ZFF einen Preis für die beste Serie; er ging an Nir Bergman und Ram Nehari für „Just for Today“. Der ZFF- Treatment Award für die beste Drehbuchidee ging an Yasmin Joerg, den ZFF-Publikumspreis holten Anna Thommen und Lorenz Nufer mit dem Dokumentarfilm „Volunteer“ über Freiwilligeneinsätze von Schweizern während der Flüchtlingswelle 2015/16.

Bereits einige Tage früher verliehen worden waren der Filmpreis der Zürcher Kirchen und die erstmals im Rahmen des ZFF vergebenen Zürcher Filmpreise. In seltsamer Weise im Mediendossier angekündigt, bei der Medienkonferenz dann aber nicht erwähnt, wurde der Prix Pathé an die Luzerner Filmredaktorin Regina Grüter. Aus unerklärten Gründen nicht verliehen wurde dieses Jahr der Preis der Schweizer Filmkritik. Was umso befremdlicher anmutet, als der durch die Award Night führende Moderator zu Beginn des Abends ironisch flachste, dass sich im WWW heute jeder Kritiker nennen dürfe – und sich einen Jux daraus machte, zwischen den verschiedenen Preisvergaben goldige Muster solch unbedarfter Laienkritik zum Besten zu geben.

Ihren Höhepunkt erreichte die 15. ZFF Award Night mit der Verleihung des Golden Icon Award an Cate Blanchett. Ihre Dankesrede war kurz, ihr Kleid aus feinem Stoff behängt mit edelster Goldschmidkunst nebst zwei gewagten Hüten im Parkett der Hingucker des Abends. So schloss Schildknechts und Spörris letzte Preisverleihung mit der glanzvollen Ehrung eines Superstars. Wenn die beiden scheidenden Leiter in der Einschätzung der von ihnen gegründeten Veranstaltung in einem Recht haben, dann dieser, dass das ZFF ein Fest fürs breite Publikum ist, welches Film und Kino in mannigfaltiger Weise erfahrbar werden lässt. Wenn sie dann stolz auf die (inzwischen offiziell mit 117‘000 kommunizierten) rekordhohe Eintrittszahl verweisen und das Publikum zugleich auffordern zur Erhaltung der Kinokultur beizutragen, wirkt das glaubwürdig. Was ihr Nachfolger, der ehemalige Filmjournalist und Redaktor Christian Jungen aus dem ZFF machen wird, wird sich im Herbst 2020 erweisen.
(Irene Genhart)

zff.com

Preise

Bester Film Intl. Spielfilmwettbewerb SOUND OF METAL
US, Regie Darius Marder
Besondere Erwähnung BABYTEETH
AU, Regie: Shannon Murphy
Besondere Erwähnung JUST 6.5
IR, Regie: Saeed Roustaee
Besondere Erwähnung A WHITE, WHITE DAY
IS/SE/DK, Regie: Hlynur Pálmason
Bester Film Intl. Dokumentarfilmwettbewerb COLECTIV
RO, Regie: Alexander Nanau
Besondere Erwähnung 17 BLOCKS
US, Regie: Davy Rothbart
Besondere Erwähnung MIDNIGHT FAMILY
US/MX, Regie: Luke Lorentzen
Bester Film Fokus: Schweiz, Deutschland, Österreich SYSTEMSPRENGER
DE, Regie: Nora Fingscheidt
Besondere Erwähnung LILIAN
AT, Regie: Andreas Horvath
Publikumspreis VOLUNTEER
CH, Regie: Anna Thommen und Lorenz Nufer
Preis der Kinderjury ZU WEIT WEG
DE, Regie: Sarah Winkenstette
Publikumspreis ZFF für Kinder INVISIBLE SUE
DE, Regie: Markus Dietrich
Beste Internationale Serie JUST FOR TODAY
IL, Regie: Nir Bergman und Ram Nehari
Ökumenischer Filmpreis WAREN EINMAL REVOLUZZER
AT, Regie: Johanna Moder
Golden Icon Award Cate Blanchett