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Von Nigeria bis Kanada

Primetime Mother by Sonny Calvento

von: ikftw; aufgeschaltet am 27.11.2023 09:31

Vom 7. bis 12. November fanden die Internationalen Kurzfilmtage Winterthur statt. Zum 27. Mal zeigte das Festival die Bandbreite des aktuellen Kurzfilmschaffens: von Wettbewerbsprogrammen über den Großen Fokus Kanada bis zum Land im Fokus Nigeria, wo vier Kurzfilmprogramme die unerschrockene Kreativität einer neuen Generation in Abkehr vom Nollywood-Mainstream deutlich machten. Als Person im Fokus hielt der deutsche Regisseur Willy Hans eine Masterclass und zeigte erstmals in der Schweiz seine gesamte Trilogie «Das satanische Dickicht» sowie Kurzfilme des Kollektivs Spengemann, Eichberg, Goldkamp, Hans. Installationen und ein Rahmenprogramm rundeten das Programm ab, das am 18. Oktober veröffentlicht wurde. Zeitgleich startete der Vorverkauf.

Wettbewerbe
Den Kern der Kurzfilmtage bildeten die Wettbewerbe: Für die insgesamt zehn Programmblöcke im Schweizer und im Internationalen Wettbewerb wurden dieses Jahr 52 Kurzfilme ausgewählt, darunter 20 Welt- und Europapremieren. Im Schweizer Wettbewerb konkurrierten 17 Filme um zwei Preise, darunter diverse Weltpremieren von bekannten Gesichtern: Unter anderem brachten Jela Hasler, Marie de Maricourt, Morgane Frund, Ella Rocca, Jadwiga Kowalska und Cosima Frei ihre neuen Filme mit (wobei letztere 2022 den Postproduktionspreis gewann).

Im Internationalen Wettbewerb fanden sich mit «Daydreaming So Vividly about Our Spanish Holidays» (Spanien 2022) und «Alpha Kings» (USA 2022) zwei der großen Festivalhits des Jahres. Auffallend waren die Anzahl narrativer Filme und die hohe Qualität insbesondere bei den Animationsfilmen. Thematische Schwerpunkte ließen sich bei feministischen Emanzipationsgeschichten, Genderfragen aber auch tagespolitischer Aktualität ausmachen.

Von spektakulären Naturbildern, wie man sie gerne mit Kanada assoziiert, über profilierte Filmemacher wie Bruce LaBruce oder Filmzentren wie die Winnipeg Film Group bis hin zu unterhaltsamen Primetime-Programmen präsentierte der Große Fokus in acht thematischen Programmen einen vielstimmigen Querschnitt durch das kanadische Kurzfilmschaffen und dessen Geschichte. So ließen beispielsweise Nature & Nurture Wildtiere und Traditionen indigener Völker mit dem industrialisierten, urbanen kanadischen Leben mal koexistieren, mal kollidieren. Behind The Masc forderte die gängigen Stereotype von kanadischer Männlichkeit – den Holzfäller im roten Karohemd, den einsamen Jäger im verschneiten Wald oder den breit gebauten Eishockey-Spieler – heraus. Und in You Are in Bear Country luden Experimentalfilmer Matthew Rankin und Musiker Nico Feer zu einer unterhaltsamen halluzinogenen Erfahrung ein, die teils aus Live-Performance, teils aus der Vorführung eines abgelehnten Auftragsfilms bestand.

Seit den 1990er Jahren wurden in Nigerias Hauptstadt Lagos mit geringen Budgets und improvisiertem Equipment wie am Fließband Filme produziert. Mittlerweile ist Nollywood die zweitgrößte Filmindustrie der Welt (hinter Indien, vor den USA) und die jüngere Generation ist mit dem Nollywood-Mainstream aufgewachsen und davon geprägt. An den Kurzfilmtagen gaben vier Programme Einblick in das Land im Fokus: Beyond Nollywood widmete sich klassischen afrikanischen Themen auf eine neue, erfrischende Art, die das junge nigerianische Kino einzigartig machte. Uralte spirituelle Kräfte trafen hier auf das zeitgenössische Leben in Nigeria. Tales of Emancipation zeigte vier Geschichten über starke weibliche Figuren, die sich in der schnelllebigen Gesellschaft Nigerias vom Patriarchat befreiten. «Juju Stories» war ein dreiteiliger Film, der sich dem in der nigerianischen Folklore und in modernen Legenden verwurzelten Juju widmete. Und Love & War verwischte die Grenzen zwischen den beiden Extremen und stellte existenzielle Fragen, auf die es keine leichten Antworten gab.

Willy Hans war dieses Jahr Person im Fokus und Jurymitglied des Internationalen Wettbewerbs. Seine Trilogie «Das satanische Dickicht» galt als Meisterwerk des Kurzfilms und inszenierte eine finstere und mysteriöse Welt, in der das Übernatürliche auf das Alltägliche traf. Neben der Trilogie zeigte Hans in Winterthur auch Kurzfilme seines Kollektivs mit Paul Spengemann, Jan Eichberg sowie Steffen Goldkamp. Die vier bildeten keine herkömmliche Produktionsgemeinschaft, sondern erkundeten die unendlichen Möglichkeiten eines stetigen Austauschs und arbeiteten in vielerlei Formen zusammen. In seiner moderierten Masterclass sprach Hans über seine Arbeit als Regisseur sowie als Teil des Kollektivs.

Die Wettbewerbe und Fokusprogramme waren auch dieses Jahr eingebettet in ein breites Rahmenprogramm von Kunst über Familienprogramme bis zu Konzerten und Partys. Nach dem großen Erfolg letztes Jahr folgte nun die zweite filmische Hommage an die Absurdität des Sports: Sport ist Mord. Hors Concours wurden mit Züri Shorts und Hot Shorts aktuelle Kurzfilme aus Zürich präsentiert, der Schweiz und der Welt, die es nicht in den Wettbewerb geschafft hatten; ebenso das Kultprogramm Kill Your Darlings: Dismissed.

Zudem galt es dieses Jahr zwei große Jubiläen zu feiern: 100 Jahre 16 mm mit einer Auswahl von Produktionen aus der Schweiz und 100 Jahre Disney. In diesem Programm waren seltene Meisterwerke aus den Anfängen der Animationskunst, zeitlose Klassiker und beliebte Disney-Kurzfilme zu sehen. Im Gegensatz dazu verband die südafrikanische Regisseurin und Filmprofessorin Jyoti Mistry in ihrer Trilogie «Archival Disruptions» Material aus kolonialen Archiven, Reise- und Amateurfilmen zu einem Kommentar über Rassismus, Gender und Sexualität, über historische und aktuelle Gewalt sowie über unser politisches Bewusstsein.

Und die Kunsträume oxyd widmeten sich der menschlichen Wahrnehmung von Natur: Eine Multimedia-Installation von Baron Lanteigne, eine Videoinstallation von Ursula Biemann sowie die computerprogrammierte audiovisuelle Installation von Marc Lee rückten das Verlorengegangene und das Mögliche in den Fokus und fragten, wie und was wir von der Natur lernen konnten.

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