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Ohne Moden, ohne Schnörkel: Das Kino des Sidney Lumet

Ohne Moden, ohne Schnörkel: Das Kino des Sidney Lumet

45 Filme in 50 Jahren – Der 1925 in Philadelphia geborene Sidney Lumet gehört nicht nur zu den produktivsten Regisseuren des US-Kinos, sondern auch zu den kompromisslosen Profis, die schnörkellos und ohne Mätzchen im Vertrauen auf exzellente Darsteller packend und engagiert Geschichten erzählen. Das Filmpodium Zürich widmet dem 83-jährigen Altmeister im Januar und Februar eine Werkschau.

Als Sohn eines von polnischen Juden abstammenden Theaterregisseurs und Schauspielers kam Sidney Lumet schon früh mit dem Theatermilieu in Kontakt. Mit vier stand er erstmals auf der Bühne und mit elf war er bereits in acht jüdischen Stücken aufgetreten. Nach der Rückkehr aus dem Zweiten Weltkrieg, in dem er als Radarspezialist zeitweise in Nordindien diente, bildete er Ende der 1940er Jahre eine eigene Theatergruppe, mit der er einige Stücke inszenierte, ehe er 1950 zum Fernsehen kam, wo er rasch zum erfolgreichen Serienregisseur avancierte.

Von der Pike auf lernte er so das Handwerk und startete nach Theater und Fernsehen 1957 als Filmregisseur gewissermaßen seine dritte Karriere, um mit seinem Debüt «Twelve Angry Men» («Die zwölf Geschworenen», 1957) gleich ein Meisterwerk vorzulegen. Vieles, was seine späteren Filme auszeichnet, findet sich schon in diesem Kammerspiel, in dem ein Geschworener seine elf Kollegen von der potentiellen Unschuld eines wegen Mordes Angeklagten zu überzeugen versucht. Wie «Twelve Angry Men» ausschließlich in einem Raum spielt so ist der zentrale Schauplatz der Agatha-Christie-Verfilmung «Murder on the Orient-Express» (1974) ein eingeschneiter Zug, des Bankräuber Dramas «Dog Day Afternoon» (1975) eine Bank und des Gerichtsfilm «The Verdict» (1982) ein Gerichtssaal.

Weite, wie sie beispielsweise den amerikanischen Western kennzeichnet, kennen die Filme Lumets nicht und die Enge korrespondiert mit der inneren Verfassung der Figuren wie beispielsweise des von Rod Steiger gespielten Pfandleihers in «The Pawnbroker» (1965), der immer wieder von traumatischen Erinnerungen an den Holocaust, den er als einziger seiner Familie überlebte, eingeholt wird. So ist der Schauplatz von Lumets Filmen auch nie das ländliche und weite Amerika, sondern immer die Stadt – und die Stadt ist – wie bei Allen, Scorsese, Cassavetes oder Spike Lee – New York.

Hier spielen auch der legendäre «Dog Day Afternoon» und die beiden Polizisten-Thriller «Serpico» (1973) und «Prince of the City» (1981), in denen es um Korruption innerhalb des Polizeiapparates geht. Immer wieder geht es so bei Lumet in verschiedensten Kontexten um die Integrität des Individuums und den Widerspruch und die Reibungen von Individuum und System. Nicht nur in den New York-Filmen, sondern auch in dem in einem britischen Strafgefangenenlager während des Zweiten Weltkriegs spielenden «The Hill» («Ein Haufen toller Hunde», 1963) oder in der bitterbösen Mediensatire «Network» (1976) greift Lumet diese Themen auf und attackiert die Institutionen scharf. Und immer wieder lehnt sich dabei – bis hin zum Gerichtsfilm „The Verdict“ (1982) - ein David gegen einen Goliath auf.

Weniger erfolgreich waren die Filme, in denen Lumets Position als überzeugter Linker zum Ausdruck kommt und in denen er sich dezidiert mit dem Kalten Krieg wie in «Fail Safe» («Angriffsziel Moskau», 1963) und «Daniel» (1983) oder dem Schicksal von früheren Vietnam-Gegnern («Running on Empty», 1988) auseinandersetzte.

Wenn man über die Filme Lumets spricht, kommt man nicht drum herum über die Schauspieler, die darin auftreten, zu sprechen. Denn Lumet hat im Laufe seiner Karriere mit zahlreichen Stars von Katharine Hepburn bis Marlon Brando, von Paul Newman bis Sean Connery, von Sophia Loren bis Al Pacino und von Henry Fonda bis Rod Steiger und zuletzt in «Before the Devil Knows You´re Dead» (2007) mit Philip Seymour Hoffmann und Ethan Hawke gearbeitet und sie zu Höchstleistungen geführt.

Mit Gimmicks und Spektakel hat Lumet nie etwas am Hut gehabt und hat es immer noch nicht. Er inszeniert stringent und konsequent, keine Szene und kein Bild sind überflüssig, alles hat seine Funktion und wie bei einer Maschine greift ein Rädchen perfekt ins andere. Das hat ihm freilich den Vorwurf eingetragen keinen eigenen Stil zu haben, sondern nur ein solider Handwerker zu sein. – Von der Hand zu weisen ist dies nicht, doch ein Handwerker, der sein Handwerk souverän beherrscht und eine aufregende und vielschichtige Geschichte packend zu erzählen versteht, ist wohl immer noch weit höher einzuschätzen als ein sich genialisch gebender, aber die Grundregeln seiner Kunst nicht beherrschender Regisseur.
(Walter Gasperi)