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Viennale – Statt Weltpremieren Festivalperlen am Fliessband

Viennale – Statt Weltpremieren Festivalperlen am Fliessband

Mit Starauflauf und Weltpremieren kann das Wiener Filmfestival Viennale nicht punkten, bietet dafür mit einem „best of“ der Festivals des zu Ende gehenden Jahres ein exquisites Filmprogramm.

Keinen Wettbewerb gibt es bei der Viennale, keine Löwen, Bären, Leoparden oder sonstige Tier-Trophäen werden vergeben. Mangelware sind auch Vorpremieren von Mainstream-Filmen, die Ausnahme stellte in dieser Hinsicht heuer Robert Rodriguez´ trashiger „Machete“ dar. So populäres Kino bot die Viennale heuer sonst nur noch in einem der Tributes. Gewidmet war dieser dem Amerikaner Larry Cohen, der ab 1972 zahlreiche Gangster-, Horror- und Science-Fiction-Filme drehte, aber bekannter sein dürfte durch seine Drehbücher für Abel Ferraras „Body Snatchers“, Sidney Lumets „Guilty as Sin“ oder Joel Schumachers „Phone Booth“. Härtere Kost boten da schon die anderen Tributes, die dem in Locarno schon mehrfach ausgezeichneten Franko-Kanadier Denis Côté und dem im Mai verstorbenen französischen Kameramann William Lubtchansky gewidmet waren. Zu Ehren von Letzterem wurden unter anderem Filme von Godard, Rivette und Straub/Huillet gezeigt.

Für beste Unterhaltung im Viennale-Programm sorgte Francois Ozons „Potiche“. Knallbunt ist diese Boulevardkomödie, die von einem lustvoll aufspielenden, sich selbst nicht ernst nehmenden Schauspielerensemble um Catherine Deneuve und Gerard Depardieu getragen wird und genüsslich mit Elementen des Genres ebenso wie mit Geschlechterrollen und weiblicher Emanzipation ironisch spielt.

Spartanischer geht es dagegen beim Rumänen Cristi Puiu zu, der in „Aurora“ 180 Minuten lang den Wegen eines Amokläufers folgt. Was nach einem spektakulären und spekulativen Reisser klingt, ist eine in langen und fast wortlosen Einstellungen inszenierte lakonische Alltagsbeobachtung. Die Morde geschehen beiläufig und fast oder ganz im visuellen Off, auf Erklärungen wird bis zum Ende verzichtet. In der Konzentration auf den Protagonisten entwickelt „Aurora“ aber einen geradezu hypnotischen Sog.

Noch minimalistischer als Puius kühle Studie ist Jerzy Skolimowskis Thriller „Essential Killing“. Die Handlung ist hier reduziert auf die Flucht eines Islamisten, der seinen amerikanischen Häschern entkommen ist. Droht ihm zunächst noch Gefahr von seinen Verfolgern, so muss er sich bald vorwiegend gegen andere Unbillen in einer eisigen osteuropäischen Schneelandschaft durchsetzen. Fast ohne Dialog kommt der Film aus, besticht in der Reduktion auf den Überlebenskampf, in dem der Protagonist übermenschliche Kräfte mobilisiert, lässt aber in dieser Beschränkung und der fehlenden Bodenhaftung am Ende doch etwas unbefriedigt zurück.

Bewegender war hier „Un homme qui crie“, in dem Mahamat-Saleh Haroun wie schon in „Daratt“ vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs im Tschad eine Vater-Sohn-Geschichte über Verrat und die Sehnsucht nach Vergebung erzählt. Einfach, aber präzise ist das inszeniert, ohne Effekthascherei, aber von großer Wahrhaftigkeit.

Wuchtiges Historienkino, das emotional packt, aber nie zum billigen Kostümschinken wird, bot dagegen Marco Bellocchio, der in „Vincere“ die private Tragödie von Mussolinis erster Frau mit der öffentlichen Geschichte des Diktators verknüpft. In die Geschichte taucht auch die Amerikanerin Kelly Reichardt ein, die in „Meek´s Cutoff“ von einem Treck von drei Familien erzählt, die sich im Jahre 1845 in den Weiten Oregons verirren. Auf alles Spektakuläre verzichtet Reichardt in diesem großartig fotografierten Western. In langsamem Erzählrhythmus fängt sie den Alltag von Flussdurchquerungen bis Wassernot ein, zeigt wie die Gemeinschaft langsam zerbröckelt, wie sich Unsicherheit ausbreitet und wirft mit dem Auftreten eines Indianers Fragen nach dem Umgang mit dem Fremden ebenso wie nach Vertrauen auf. Ungemein konzentriert ist das inszeniert, lässt die Mühen und die Verlorenheit des Trecks nachvollziehen, doch bei allen Qualitäten ist nicht zu übersehen, dass die Langsamkeit den Film auch für den Zuschauer recht anstrengend macht.

Das kann man von Alex de la Iglesias´ „Balada triste de trompeta“ nicht behaupten. Der Spanier erzählt in seiner grellen Groteske anhand einer Dreiecksgeschichte von den Spannungen innerhalb der spanischen Gesellschaft zur Zeit Francos. De la Iglesia brennt ein regelrechtes Feuerwerk an Einfällen ab, auf der Strecke bleiben freilich in diesem an die Werke Quentin Tarantinos erinnernden Film die Zwischentöne.

Mühelos liesse sich die Liste der großen Kinomomente, die diese Viennale bot, fortsetzen: Für ein magisches Kino-Erlebnis sorgte Apichatpong Weerasethakuls Cannes-Gewinner „Lung Boonmee raluek chat“, leise und poetisch kam der russische „Ovsyanki – Silent Souls“ oder der koreanische „Shi – Poetry“ daher, und an den letzten Festivaltagen liefen oder laufen noch Sofia Coppolas „Somewhere“, Mike Leighs „Another Year“ oder der Locarno-Sieger „Han jia – Winter Vacation“.
(Walter Gasperi)